Rückenschmerzen sind heute für viele Menschen ein steter Begleiter und gelten als regelrechte Volkskrankheit. Oft wird die Ursache schnell bei verspannten oder überlasteten Muskeln gesucht. Doch neuere Erkenntnisse legen nahe, dass die Probleme in vielen Fällen gar nicht (nur) im Muskel liegen, sondern tiefergehen – genau genommen in den Faszien.

Was sind Faszien?
Faszien sind dünne, nahezu durchsichtige Schichten aus Bindegewebe. Man kann sie sich wie ein feines Netz vorstellen, das Organe, Muskeln, Knochen und sogar Nervenstrukturen umhüllt und miteinander verbindet. Diese Strukturen sind so wichtig, dass sie längst als eigenständiges Sinnesorgan gelten. Sie enthalten Sensoren, die über Druck, Spannung und Bewegung „berichten“ – sogenannte Propriozeptoren. Diese Sensoren sind essenziell für unsere Körperhaltung und Koordination: Ohne ihre Rückmeldungen könnten wir nicht sicher stehen, gehen oder komplexe Bewegungsabläufe ausführen.
Lange Zeit galten Faszien als bloßes Verpackungsmaterial der Muskeln, um die sich Medizin und Sportwissenschaft wenig kümmerten. Doch mittlerweile ist klar, dass Faszien nicht nur an der Stabilität unseres Körpers entscheidend beteiligt sind, sondern auch eine zentrale Rolle bei der Schmerzentstehung spielen können. Eine im Fachjournal „Pain“ veröffentlichte Studie von 2013 zeigte, dass eine Injektion schmerzauslösender Substanzen in die Faszie als unangenehmer empfunden wird als eine direkte Injektion in den Muskel.
Rückenschmerzen als Faszienproblem
Gerade bei Rückenschmerzen, die häufig unspezifisch sind und nicht immer einer klaren Ursache zugeordnet werden können, rücken die Faszien ins Blickfeld der Forschung. Eine große Rolle spielt dabei die sogenannte Rückenfaszie, die die Lendenwirbelsäule stabilisiert und mit den umliegenden Muskelschichten verbunden ist. Die kanadischen Forscher Ibrahim El Bojairami und Mark Driscoll kamen in Modellierungen zu dem Ergebnis, dass die passive Stabilität der Lendenwirbelsäule mindestens so stark von der großen Rückenfaszie beeinflusst wird wie von den aktiven Muskeln.
Diese Erkenntnis passt zu vielen Beobachtungen im klinischen Alltag. Rückenschmerzen, die weder durch Röntgen noch durch MRT eindeutig erklärt werden können, gehen möglicherweise auf Veränderungen oder Reizungen der Faszien zurück. Unflexible, verhärtete oder verklebte Faszien können ziehen, stechen oder sogar tiefliegende Schmerzen verursachen, die sich kaum lokalisieren lassen.
„Faszienkater“ statt Muskelkater?
Interessant ist auch die Idee, dass der bekannte Muskelkater möglicherweise in Wirklichkeit eher ein „Faszienkater“ ist. Lange Zeit ging man davon aus, dass Muskelkater primär durch feine Risse und Entzündungen im Muskelgewebe oder durch Laktatansammlungen entsteht. Doch neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Verdickungen und Versteifungen in den schmerzempfindlichen Faszien der eigentliche Grund für die typischen Beschwerden sein könnten.“
Um diesen Vergleich greifbarer zu machen, lohnt sich ein anschauliches Bild: Stellen Sie sich ein Zelt vor. Die Muskeln sind dabei das Gestänge, also die tragenden Stangen. Die Zeltplane selbst – das sind die Faszien. Werden diese elastischen Bahnen zu fest oder bekommen kleine Risse, wird das gesamte Zelt instabil oder wirkt verzogen. Ein ähnlicher Effekt tritt beim menschlichen Körper auf: Sind Faszien verklebt, verhärtet oder verletzt, verlieren unsere Bewegungen ihre Leichtigkeit und Schmerz kann an ganz unterschiedlichen Stellen auftreten.

Faszien als netzartiger „Körperverbinder“
Mit Faszienketten wird beschrieben, wie Muskeln an weit entfernten Stellen über das Bindegewebe miteinander verknüpft sind. Eine Studie, die im Fachblatt „Frontiers in Physiology“ veröffentlicht wurde, beschrieb, dass die Muskelkraft tatsächlich über diese Ketten weitergeleitet werden kann. Ein Beispiel: Läufer klagen oft über Schmerzen an der Fußsohle, obwohl die Ursache sich möglicherweise im hinteren Oberschenkel findet. Beide Bereiche sind über die Faszien eng miteinander verbunden.
Faszien im Alter: Bewegung ist das beste Schmiermittel
Im Laufe des Lebens verändert sich das Fasziengewebe. Faszien enthalten Hyaluronsäure, ein Stoff, der in Ruhe eher zähflüssig ist und erst bei Bewegung und Aktivierung seine schmierfähigen Eigenschaften entfaltet. Jan Wilke vergleicht Hyaluronsäure gerne mit Ketchup: Im Kühlschrank ist Ketchup recht fest, beim Schütteln wird er deutlich flüssiger. Ähnlich verhält es sich mit den Faszien in unserem Körper. Werden sie regelmäßig „geschüttelt“ – also bewegt und gefordert –, bleiben sie geschmeidig.
Es zeigte sich jedoch, dass Menschen mit Rückenschmerzen häufig eine deutlich reduzierte Gleitfähigkeit der Faszien aufweisen. Die Folge: schmerzhafte Bewegungseinschränkungen. Besonders im Alter, wenn wir womöglich weniger aktiv sind, kann es zu solchen Versteifungen kommen. Ein Teufelskreis beginnt: Weniger Bewegung führt zu steiferen Faszien, steifere Faszien führen zu mehr Schmerz und weiter abnehmender Bewegungsfreude.

Wie Osteopathie Faszien löst
In der Osteopathie spielen Faszien schon seit Langem eine zentrale Rolle. Viele osteopathische Techniken beruhen auf der Annahme, dass Störungen – etwa Verklebungen oder Verhärtungen – im Fasziengewebe zu einer Vielzahl von Beschwerden führen können. Osteopathinnen und Osteopathen tasten deshalb häufig sehr genau den Körper ab, um Spannungen in den Faszien zu erspüren und durch manuelle Grifftechniken zu lösen.
Die osteopathische Behandlung kann dabei vielfältige Formen annehmen:
Myofasziale Release-Techniken: Hierbei wird sanfter, aber spezifischer Druck ausgeübt, um bestimmte Areale der Faszie zu dehnen und Verklebungen zu lösen.
Viszerale Osteopathie: Da auch die Organe von Faszien umhüllt sind, wird das Bindegewebe um innere Organe herum behutsam mobilisiert, um Spannungen in diesem Bereich zu lösen.
Craniosacrale Osteopathie: Diese Methode konzentriert sich auf die fasziale Verbindung zwischen Schädel (Cranium) und Kreuzbein (Sacrum). Der Osteopath ertastet minimale Bewegungen im Gewebe und versucht, Blockaden zu lösen, die über Faszienverbindungen den gesamten Körper beeinflussen können.
Ziel dieser Techniken ist es, das Gleichgewicht der Faszien wiederherzustellen, sodass sie ihre Funktionen als Stütz- und Gleitgewebe bestmöglich erfüllen können. Die Osteopathie sieht den Körper als Einheit – und eben dieser holistische Ansatz ist besonders hilfreich bei faszialen Problematiken, weil das Fasziennetz nahezu alle Bereiche des Organismus berührt. Patientinnen und Patienten berichten häufig von einer spürbaren Erleichterung, mehr Beweglichkeit und einer ganzheitlichen Entspannung nach osteopathischen Sitzungen.

So trainieren Sie Faszien richtig
Wer den Faszien gezielt „etwas Gutes“ tun möchte, muss kein spezielles „Faszientraining“ absolvieren. Ihre Faszien reagieren immer auf die Gesamtheit der Bewegungen. Dynamische, federnde und multidirektionale Übungen, die unterschiedliche Muskelgruppen ansprechen, sind besonders empfehlenswert. Das können zum Beispiel kleine Sprünge, leichte Hopserläufe oder vielseitige Dehn- und Streckbewegungen sein.
Auch Faszienrollen, -bälle oder -knochen sind in aller Munde. Das Ausrollen soll Verspannungen lösen und die Durchblutung fördern. Grundsätzlich spricht auch nichts gegen das „Ausrollen“. Zu starker Druck kann allerdings kontraproduktiv sein, da überreizte Faszien mit noch mehr Schmerz reagieren könnten. Nach aktuellen Erkenntnissen reichen oft sanftere Techniken aus, um positive Effekte zu erzielen.

Aktuelle Forschung zu Faszien
Die grundlegende Faszienforschung ist in den letzten Jahren stark vorangeschritten. Zahlreiche Studien haben unser Wissen über den Aufbau, die Biomechanik und die sensorische Bedeutung der Faszien erweitert. In den vergangenen Jahren konnten wir uns daher regelmäßig über neue Erkenntnisse freuen.
Fest steht bereits jetzt, dass Faszien weit mehr sind als ein bloßes Füllmaterial zwischen den Muskeln. Sie sind ein hochsensibles, mechanisch wichtiges und potenziell schmerzauslösendes Gewebe, dass unser Bewegungssystem maßgeblich beeinflusst. Je intensiver man sich mit Faszien befasst, desto deutlicher tritt zutage, dass in der modernen Schmerztherapie und im Gesundheits- sowie Leistungssport ein Paradigmenwechsel nötig sein könnte.
Fazit
Ob Rückenschmerzen, vermeintlicher Muskelkater oder unklare Schmerzen in anderen Körperregionen – oft ist das Fasziengewebe eine der Schlüsselstrukturen, die es zu beachten gilt. Die Faszien verbinden Muskeln, Sehnen und Bänder zu einem lückenlosen Netzwerk und sind selbst hochsensibel für Druck, Spannung und Reizungen. Verhärtungen, Verklebungen oder Überbelastungen in einer Zone können sich an ganz anderer Stelle bemerkbar machen.
Damit sich dieses filigrane Netz aus Bindegewebe nicht zum „Schmerzgenerator“ entwickelt, ist eine ausreichende und vielseitige Bewegung unverzichtbar. Gleichzeitig können gezielte Übungen sowie ein vernünftiger Einsatz von Faszienrollen oder -bällen helfen, Verhärtungen zu lösen und die Gleitfähigkeit der Faszienschichten zu fördern. Gerade wenn sich Rückenschmerzen nicht eindeutig erklären lassen, lohnt sich ein Blick auf das Fasziengewebe – und damit auf das unterschätzte Netzwerk, das unseren Körper formt, stützt und bewegt.
Quellen und Studien
Taguchi et al. (2013): Injection of Nociceptive Substances into Lumbar Fascia Provokes More Pain than into Muscle, Pain, 154(4).
Langevin et al. (2011): Reduced Fascial Gliding in Patients with Chronic Low Back Pain, BMC Musculoskeletal Disorders, 12(1).
Wilke et al. (2020): The Role of Fascial Connective Tissue in Force Transmission: Evidence from a Pilot Study, Frontiers in Physiology, 11(311).
Studie im „Journal of Ultrasound“ (2023): Forschung zu Faszienentfernung und Muskelspannung (japanisches Forscherteam).
El Bojairami & Driscoll (2022/2023): Modellierungen zur passiven Stabilität der Lendenwirbelsäule.
Schleip & Müller (2013): Training Principles for Fascial Connective Tissues: Scientific Foundation and Practical Applications, Journal of Bodywork & Movement Therapies, 17(1).
Wilke, J. (Univ. Bayreuth, diverse Publikationen): Faszienforschung in den Bereichen Sportwissenschaft, Bewegungsoptimierung und Schmerzprävention.
Stecco et al. (2011): Fascial Anatomy and Its Implications in Chronic Pain, Journal of Bodywork & Movement Therapies, 15(2).
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