Die ISG-Blockade aus Sicht der Osteopathie und Chiropraktik
- Sascha Bade
- 2. Mai
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 5 Tagen

Inhaltsverzeichnis:
Wenn das Iliosakralgelenk streikt, spüren wir jede Bewegung. Viele nennen das eine „ISG-Blockade“. Doch was steckt dahinter? Osteopathinnen und Chiropraktiker sehen das Gelenk als Dreh- und Angelpunkt unserer Statik. Ihr Blick zeigt: Eine Blockade ist selten ein rein lokales Problem, sondern das Resultat eines komplexen Zusammenspiels aus Muskeln, Faszien und Nervensignalen.
Was ist eine ISG-Blockade?
Das Iliosakralgelenk (ISG) verbindet das Kreuzbein mit den beiden Darmbeinschaufeln und trägt damit buchstäblich das Gewicht des Oberkörpers. Obwohl es nur wenige Millimeter Beweglichkeit zulässt, spielt dieses unscheinbare Gelenk eine Schlüsselrolle für die gesamte Statik des Menschen. Gerät sein fein abgestimmtes Zusammenspiel aus Knochen, Bändern, Muskeln und Faszien aus dem Gleichgewicht, spricht man von einer. Der Begriff wirkt allerdings nur bedingt zutreffend, denn er beschreibt keine Verrenkung, sondern eine funktionelle Störung. Das Gelenk wird durch muskuläre Überspannung in einer ungünstigen Position fixiert, verliert seinen federnden Spielraum und sendet Schmerzsignale aus.

Ursachen einer ISG-Blockade
Die Ursachen für eine solche Bewegungseinschränkung sind vielfältig. Ständiges Sitzen, vor allem mit rundem Rücken, verschiebt das Becken nach hinten und überdehnt die straffen Bänder, die das Kreuzbein sichern. Ein Fehltritt beim Sport, ein Sturz aufs Gesäß oder das Tragen schwerer Taschen auf nur einer Seite setzen punktuelle Reize, die Muskelketten reflexhaft verhärten lassen. In der Schwangerschaft lockert das Hormon Relaxin die Haltestrukturen, damit der Geburtskanal später aufgehen kann – auch das macht das ISG verletzlicher. Selbst eine längst verheilte Sprunggelenksverletzung kann über das Fasziennetz Zugkräfte nach oben weiterleiten und schließlich das schwächste Glied, eben das Iliosakralgelenk, überlasten.
Ungleichmäßige Belastung: langes Sitzen mit überkreuzten Beinen, einseitiges Tragen von Taschen.
Traumata: Sturz aufs Gesäß, Autounfall oder ein Fehltritt beim Sport.
Schwangerschaft: Hormonbedingte Lockerung der Bänder verändert die Statik.
Narben & Operationsfolgen: Spannungsketten ziehen bis ins Gelenk.
Fußfehlstellungen: Wie bei einer Tür mit krummer Angel kippt die Statik von unten nach oben.

Der Körperkompass
Gesundheitswissen aus der Osteopathie-Praxis
Bestell-Nr. 1582ISBN-13: 978-3-8434-1582-8
248 Seiten, 154 x 205 mm, broschiert, mit zahlreichen farbigen Abbildungen
Symptome einer ISG-Blockade
Typisch für eine ISG-Blockade ist der tiefsitzende, meist einseitige Schmerz direkt neben der unteren Lendenwirbelsäule. Betroffene beschreiben ein Stechen beim Umdrehen im Bett, beim Aufstehen aus dem Auto oder beim Anheben eines Beins, als hätte jemand einen Nagel ins Gesäß getrieben. Nicht selten strahlt der Schmerz in die Leiste oder über die Rückseite des Oberschenkels, was ihn leicht mit Ischiasbeschwerden verwechseln lässt. Auch das Gefühl, das Becken stehe schief oder klacke bei bestimmten Bewegungen, gehört zum Beschwerdebild.
Lokaler, stechender Schmerz neben der Wirbelsäule auf Höhe des Kreuzbeins.
Ausstrahlung in Gesäß, Leiste oder Rückseite des Oberschenkels.
Stolperndes Gangbild, weil das Bein „kürzer“ wirkt.
Schwierigkeiten beim Drehen im Bett oder Einsteigen ins Auto.
Besserung im Liegen, Verschlimmerung beim Aufstehen.

Mögliche Zusammenhänge aus osteopathischer Sicht
Osteopathie betrachtet den Körper als vernetzte Einheit aus Knochen, Muskeln, Faszien, Organen und Nerven. Man könnte sagen, Osteopathie betrachtet den Körper wie ein Orchester, in dem jedes Instrument die Melodie beeinflusst. Verstimmt sich ein Teil, gerät das ganze Stück aus dem Takt. Diese Perspektive ändert, wie wir Beschwerden deuten, behandeln und vorbeugen. Eine ISG-Blockade ist selten ein Einzelproblem:
Der Körper als Einheit: Grundprinzip Nummer eins: Struktur und Funktion sind untrennbar. Ein Gelenk, das sich nicht frei bewegt, beeinträchtigt seine Blut- und Lymphversorgung. Umgekehrt verändert ein venöser Stau die Gewebeelastizität. Die Osteopathin sucht daher nicht nur dort, wo es schmerzt. Sie prüft, welche Strukturen stromaufwärts oder stromabwärts den Fluss hemmen. Ein Beispiel: Ein steifer Großzeh zwingt das Knie, anders zu rotieren. Jahre später sieht man Verschleiß in der Hüfte. Der Auslöser lag unten, das Symptom oben.
Faszien: Faszien umhüllen Muskeln, Organe und Nerven wie eine endlose Strumpfhose. Sie gleiten und ziehen über mehrere Segmente hinweg. Wenn Narbengewebe oder chronische Anspannung Faszien verklebt, entsteht Zug auf entfernte Areale. Eine Kaiserschnittnarbe kann darum Rückenschmerzen verursachen; sie zieht die Bauchdecke nach vorn und kippt das Becken. Wird die Narbe gelöst, entspannt sich die Lendenmuskulatur, obwohl sie selbst gesund war.
Viscero-somatische Reflexe: Organe sprechen mit Muskeln über das Nervensystem. Ein gereizter Darm kann Wirbelgelenke verspannen; umgekehrt kann ein blockierter Wirbel die Durchblutung des Darms stören. Osteopathen testen diese Querverbindungen mit Druckpunkten, Beweglichkeitstests und dem Gewebetonus. Die Therapie zielt darauf, beide Seiten zu entlasten. So bessert sich manchmal Sodbrennen, nachdem der Übergang von Brust- zu Lendenwirbel mobilisiert wurde.
Atmung: Atmung ist die stille Pumpe des Körpers. Das Zwerchfell massiert bei jedem Atemzug Leber, Magen und Herz. Stress führt zu flachem Brustkorb-Atmen; die Pumpe stockt. Folge: Stau im Bauchraum und Spannung im Schulter-Nacken-Bereich. Osteopathische Techniken wecken die Zwerchfellbewegung, ergänzend lehrt die Therapeutin Bauchatmung. So verknüpft sich manuelle Arbeit mit Eigenübung.
Psyche und Gewebe: Gedanken ändern Muskeln. Angst aktiviert den Sympathikus, erhöht den Grundtonus, verengt Gefäße. Faszien verlieren dann Gleitfähigkeit. Osteopathie berührt daher auch das vegetative Nervensystem: Langsame Dehnungen, ruhige Impulse, begleitendes Gespräch. Ziel ist, den Körper aus dem Alarmmodus zu holen, damit Gewebe heilen kann.
Selbstregulation: Der Organismus besitzt eine enorme Reparaturkraft. Osteopathie begreift sich nicht als „Einrenken“, sondern als Feinjustierung, um diesen inneren Mechanismus freizusetzen. Wie ein Gärtner lockert sie den Boden und gibt Wasser; wachsen muss die Pflanze selbst.
Grenzen erkennen: Akute Infektionen, Tumoren oder Frakturen gehören in ärztliche Hände. Hier zeigt sich eine weitere Verbindung: Osteopathie ergänzt, ersetzt aber nicht. Sie bildet ein Glied in einer Kette aus Medizin, Physiotherapie und eigenverantwortlicher Bewegung.

Der chiropraktische Ansatz bei einer ISG-Blockade
Der chiropraktische Prozess beginnt nicht mit dem berühmten „Knack“, sondern mit einer präzisen Befunderhebung. Zunächst nimmt der Chiropraktiker eine ausführliche Anamnese auf: Wann traten die Schmerzen auf, strahlen sie ins Bein aus, verschlimmern sie sich beim Sitzen? Anschließend folgt die Motion Palpation. Dabei ertastet die Hand jede iliosakrale Bewegung in Vorneige, Rückneige und Rotation. Ergänzt wird der Befund durch Provokationstests wie den Gillet- oder Vorlauftest. Bildgebende Verfahren kommen nur zum Einsatz, um Frakturen, degenerative Veränderungen oder entzündliche Prozesse auszuschließen. Erst wenn sich eine rein funktionelle Störung bestätigt, gilt die Blockade als „justierbar“.
Die HVLA-Technik: Impuls für Gelenk und Nerv
Kern der klassischen Chiropraktik ist der High-Velocity-Low-Amplitude-Thrust (HVLA). Nach sanfter Vordehnung setzt der Behandler in Bruchteilen einer Sekunde einen kurzen Impuls – meist mit Handballen oder Unterarm an Darmbein oder Kreuzbein. Das charakteristische Knacken entsteht, weil im Gelenkspalt kurzzeitig Unterdruck herrscht; Gasbläschen kollabieren, ein akustisches Plopp folgt. Klinisch zählt weniger das Geräusch als das Ergebnis: Die Gelenkflächen gewinnen ihr Spiel zurück, Muskelspindeln normalisieren ihren Spannungsreflex, und nozizeptive Signale ans Rückenmark sinken. Viele Patienten berichten unmittelbar nach dem Thrust über mehr Bewegungsfreiheit oder ein Abklingen des Stechens.
Übrigens: Beim Iliosakralgelenk geht die Justierung in der Regel sogar komplett ohne Geräusch von statten.
FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Thema
Wie schnell bin ich nach der osteopathischen, bzw. chiropraktischen Behandlung schmerzfrei?
Kann ich die Blockade selbst lösen?
Welche Risiken hat die Osteopathie und Chiropraktik?
Wie finde ich einen seriösen Behandler*in?
Übernimmt die Krankenkasse die Kosten?
Ist Osteopathie oder Chiropraktik besser?
Wie viele Behandlungen sind üblich?
Wann sollte ich dringend zum Arzt?