Arthrofibrose - Wenn die Wunde nicht zur Ruhe kommt
- Sascha Bade
- vor 6 Tagen
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 5 Tagen
Nach einer Operation oder Verletzung ist der Körper im Reparaturmodus. Das ist normal – schließlich muss Gewebe heilen. Doch manchmal übertreibt der Körper es mit dem Reparieren, und es entsteht zu viel Narbengewebe. Dann entsteht Arthrofibrose.

Inhaltsverzeichnis:
Warum heilt das eine Knie nach einer Operation problemlos, während ein anderes steif wird und bei jeder Bewegung schmerzt? Die Ursache wird tief im Inneren des Körpers vermutet – auf der Ebene der Zellen. Was dabei passiert, ist ein komplexes Zusammenspiel aus körpereigenen Abwehrmechanismen, Botenstoffen und einem inadäquaten Zellverhalten. Die Folge kann dann eine Arthrofibrose sein, mit kaum sichtbaren, aber dafür sehr spürbaren Komplikationen.
Was ist Arthrofibrose?
Bei einer Arthrofibrose kommt es zu überschießender Narbenbildung im Gelenk, meist nach einer Operation. Dabei vermehrt sich das Bindegewebe im Gelenk – also das Gewebe, das Strukturen stützt und verbindet – in unnatürlichem Maß. Es wird zäh, hart und schränkt die Beweglichkeit ein. Betroffene haben oft das Gefühl, dass das Gelenk "blockiert" ist. Häufig wird auch von einem „Schraubstockgefühl“ gesprochen.
Alles beginnt mit einer Zelle
Unser Körper besteht aus rund 30 Billionen Zellen. Sie bilden Gewebe, Organe – und letztlich uns selbst. Manche dieser Zellen sind auf besondere Aufgaben spezialisiert. So haben wir Muskelzellen, Nervenzellen, Immunzellen oder Hautzellen. Jede einzelne ist eine kleine, hochkomplexe Einheit mit einem Zellkern, in dem unser Erbgut lagert, einer schützenden Hülle und einem inneren „Gerüst“ aus Eiweißstrukturen.
Was all diese Zellen gemeinsam haben, Sie stellen unermüdlich Proteine her – also Eiweiße, die als Werkzeuge, Baustoffe oder Botenstoffe im Körper agieren. Manche dieser Proteine verbleiben in der Zelle, andere werden nach außen abgegeben, wo sie Signale senden und Gewebe beeinflussen.
Zytokine - die Sprache der Entzündung
In unserem Körper wird pausenlos kommuniziert. Das passiert allerdings nicht mit Worten, sondern mit Molekülen. Eine ganz besondere Art dieser körpereigenen „Nachrichten“ sind die Zytokine. Ohne sie wären Zellen wie Menschen ohne Handys: planlos, unkoordiniert und im Zweifel völlig überfordert.
Zytokine (aus dem Griechischen für „Zelle“ und „Bewegung“) sind kleine Eiweißmoleküle, die wie eine Art Nachrichtenservice zwischen Zellen agieren. Sie sagen den Zellen zum Beispiel: „Los, Entzündung starten!“ oder „Alles klar, wir können wieder runterfahren.“ Man kann sich das vorstellen, wie ein internes Notrufsystem. Wenn irgendwo im Körper etwas passiert – ein Schnitt, eine Prellung oder eine Operation – senden betroffene Zellen sofort Zytokine aus, die Alarm schlagen.

Der Körperkompass
Gesundheitswissen aus der Osteopathie-Praxis
Bestell-Nr. 1582ISBN-13: 978-3-8434-1582-8
248 Seiten, 154 x 205 mm, broschiert, mit zahlreichen farbigen Abbildungen
Entzündung – kein Drama, sondern Plan A des Körpers
Die Reaktion auf diesen Hilferuf nennt sich Entzündung. Obwohl die Entzündung einen schlechten Ruf hat, ist sie zunächst einmal etwas sehr Nützliches. Sie ist der erste Schritt zur Heilung. Zytokine sorgen dafür, dass das Immunsystem aktiviert wird. In der Folge strömen Abwehrzellen herbei, um Schäden zu reparieren, Krankheitserreger zu bekämpfen und alles für den Wiederaufbau vorzubereiten. Aus diesem Grund sollten wir auch mit der Einnahme von entzündungssenkenden Medikamenten wohldosiert umgehen.
Arthrofibrose: Wenn der Alarm nicht mehr aufhört
So weit, so gut. Problematisch wird es, wenn dieser Notfallmodus nicht rechtzeitig abgeschaltet wird. Denn manche Zytokine wirken wie ein Dauerfeuer. Sie regen immer weitere Entzündungen an, selbst wenn die ursprüngliche Verletzung längst verheilt ist. Das kann zum Beispiel nach größeren Operationen, bei chronischen Erkrankungen oder Autoimmunreaktionen der Fall sein.
Dann wird die eigentlich hilfreiche Entzündung selbst zum Problem. Zellen bleiben im Alarmzustand, das Gewebe wird geschädigt, statt repariert und der Körper bekämpft sich selbst.
Bei einer Arthrofibrose läuft genau das schief. Der Alarm hört nicht mehr auf. Die Zellen im Gelenk senden weiter entzündliche Signale, auch wenn die ursprüngliche Wunde längst verheilt sein sollte. Besonders der Botenstoff TGF-β (Transforming Growth Factor Beta) spielt hier eine zentrale Rolle. Er sorgt dafür, dass Bindegewebszellen zu sogenannten Myofibroblasten umprogrammiert werden. Das sind Zellen, die Narbengewebe aufbauen und sich stark zusammenziehen können.
Diese Myofibroblasten beginnen, überschüssiges Bindegewebe zu bilden. Man könnte sagen, Sie mauern das Gelenk regelrecht ein. Das Resultat sind Schmerzen, Steifheit und ein Knie (oder anderes Gelenk), das sich nicht mehr richtig bewegen lässt.
Zusammengefasst:
Bei einer Arthrofibrose läuft ein regelrechter Teufelskreis ab:
Die Verletzung löst einen Alarm aus: Die Zellen merken, dass etwas kaputt ist, und rufen Hilfe.
Helfer-Botenstoffe kommen ins Spiel: Die Zytokine schicken Nachrichten: „Hier ist etwas kaputt – reparieren bitte!“
Reparatur-Zellen legen los: Zellen, die normalerweise Bindegewebe bauen (Fibroblasten), verwandeln sich in „Super-Reparatur-Zellen“ (Myofibroblasten).
Es wird zu viel repariert: Diese Super-Zellen übertreiben es. Ssie bilden zu viel hartes Narbengewebe und ziehen es zusammen. Das Gelenk wird steif.
Der Alarm hört nicht auf: Der Körper denkt immer noch, es sei etwas kaputt, also geht das Ganze wieder von vorne los.

Was heißt das für die Behandlung der Arthrofibrose?
Für die Behandlung der Arthrofibrose ist ein grundlegendes Verständnis der Zellbiologie wichtig. Gleichzeitig bewegen wir uns permanent auf einem schmalen Grad zwischen zu viel und zu wenig. Zu intensive manuelle Behandlungen können sich kontraproduktiv auswirken. Wenn Therapeuten zu sehr in den Schmerz mobilisieren, kann das eine Neufibrosierung auslösen. Das stellt ein großes Problem dar, bei nicht-diagnostizierter Arthrofibrose. Die postoperative Gelenkmobilisation, die bei anderen Patienten richtig ist, stellt bei Arthrofibrose eine Kontraindikation dar. Da Patienten nach einer Operation aber so gut wie immer über Schmerzen klagen (besonders wenn sie in den Schmerz hineinmobilisiert werden), ist eine Differenzierung schwierig.
Die andere Möglichkeit könnte also sein, dass man das Gelenk komplett in Ruhe lässt. Tatsächlich könnte das eine Option sein. Allerdings handelt es sich dabei um eine Option, die ihrerseits Nachteile mit sich bringt. Wird ein Gelenk über längere Zeit nicht bewegt, kommt es zu Bewegungseinschränkungen, sowie einer eingeschränkten Stoffwechselaktivität.
Da es bis heute keine gute Evidenz zur Behandlung der Arthrofibrose gibt, beschreibe ich unsere Herangehensweise.
1.) Weniger ist mehr, aber nichts tun ist zu wenig.
In den acht Jahren, in denen ich mich nun mit der Arthrofibrose beschäftige, habe ich gelernt, dass jeder Patient andere Behandlungsintensitäten verträgt. Daher bewege ich mich in der manuellen Therapie (dazu gleich mehr) immer unter der Schmerzschwelle.
2.) An jedem Gelenk hängt ein ganzer Mensch
Auch wenn vielleicht nur das linke Knie betroffen ist, sehe ich mir im Rahmen der osteopathischen Diagnostik trotzdem den ganzen Körper an. Zusammenhänge, die zum Beispiel die Durchblutung beeinflussen, oder die Gleitfähigkeit der Nerven einschränken, wirken sich auf die Arthrofibrose aus. Diese Dysfunktionen werden behandelt.
Lokale Behandlung
Für die Therapie direkt am Gelenk habe ich gute Erfahrungen mit der Matrix Rhythmus Therapie gemacht. Dies wird kombiniert mit sanften faszialen Techniken.
Entzündungen regulieren
Ich empfehle eine anti-entzündliche Ernährung mit wenig Fleisch. Einige meiner Patienten haben gute Erfolge mit Basenbädern gehabt. Diese wirken am effektivsten, wenn der ganze Körper im Wasser ist (Badewanne) und wenn die Bäder oft (möglichst täglich) wiederholt werden. Auch Kälteanwendungen scheinen einen Effekt zu haben. Da ich diesbezüglich aber keine tiefergehenden Erfahrungen habe, würde ich derzeit noch von einer Empfehlung Abstand nehmen wollen.
Fazit: Arthrofibrose beginnt unsichtbar
Arthrofibrose ist mehr als eine schlecht verheilte Narbe. Sie ist das Ergebnis eines fehlgeleiteten Zellprozesses, also einer Art Missverständnis im Kommunikationsnetzwerk unseres Körpers. Wer das versteht, kann gezielter vorbeugen und behandeln. Denn nur wenn wir wissen, wie der Alarm entsteht, können wir ihn auch wieder abschalten.
Zum Abschluss: Ich bin oft frustriert, weil wir immer noch keine einheitliche Behandlungsstrategie für die Arthrofibrose haben. Ich sehe täglich, mit welchem Leidensdruck die Patienten in unsere Praxen kommen. Ich möchte aus diesem Grund meinen Dank an Dr. Kayley Usher richten, die als Leiterin der IAA (International Arthrofibrosis Association) mit ihrem Team unermüdlich forscht.