Morbus Sudeck (CRPS): Wenn Schmerzen ein Eigenleben entwickeln
- Sascha Bade
- 1. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 6 Stunden
Was passiert, wenn ein kleiner Unfall große Folgen hat? Wenn der Schmerz nach einer Verletzung nicht nachlässt – sondern schlimmer wird, obwohl das Gewebe längst verheilt sein sollte? Dann könnte Morbus Sudeck – auch bekannt als CRPS, das komplexe regionale Schmerzsyndrom dahinterstecken.

Inhaltsverzeichnis:
Was ist Morbus Sudeck?
Morbus Sudeck ist eine chronische Schmerzerkrankung, die meist nach einer Verletzung, Operation oder Knochenbruch entsteht – insbesondere an Armen oder Beinen. Obwohl die ursprüngliche Verletzung oft harmlos erscheint, entwickelt der Körper in der betroffenen Region eine massive Überreaktion: anhaltender Schmerz, Schwellung, Temperaturveränderungen, Bewegungseinschränkungen – das volle Programm.
Medizinisch spricht man von CRPS – „Complex Regional Pain Syndrome“. Unterschieden wird in zwei Formen:
CRPS Typ I: ohne nachweisbare Nervenschädigung.
CRPS Typ II: mit eindeutig nachgewiesenem Nervenschaden.
Wer ist betroffen?
Morbus Sudeck kann theoretisch jeden treffen – ob jung oder alt. In der Praxis zeigen sich aber Risikogruppen:
Häufig betroffen: Frauen zwischen 40 und 60 Jahren
Oft nach: Handgelenksbrüchen, Operationen oder Stauchungstraumata
Seltener: Kinder oder Männer
Ein „auslösender“ Unfall ist fast immer vorhanden – oft ein Bruch, der normal heilt, aber dann unerwartet eskaliert.
Wie entsteht CRPS?
Die genaue Ursache ist bis heute nicht vollständig geklärt. Was man weiß: Der Körper schaltet nach einer Verletzung eigentlich in den Heilungsmodus. Bei CRPS läuft jedoch etwas schief – das Nervensystem, das Immunsystem und die Durchblutung geraten außer Kontrolle.
Statt in den Heilungsmodus zu wechseln, scheint der Körper in einer Art Dauer-Alarmzustand zu verharren. Der Schmerz bleibt – und wird mitunter sogar stärker, obwohl die ursprüngliche Verletzung längst verheilt ist. Was läuft hier schief?
Die Forschung steht trotz zahlreicher Erkenntnisse noch immer vor einem Rätsel. Sicher ist: Bei CRPS spielt das Nervensystem eine zentrale Rolle. Es scheint, als würde es Reize falsch interpretieren – harmlose Berührungen oder Temperaturunterschiede werden plötzlich als schmerzhaft empfunden. Das Schmerzsystem ist überempfindlich geworden, fast so, als hätte der Körper ein eigenes „Schmerzgedächtnis“ entwickelt, das sich nicht mehr abschalten lässt.
Dazu kommt eine Entgleisung der körpereigenen Abwehr. Das Immunsystem produziert weiterhin Entzündungsstoffe, obwohl die eigentliche Gefahr längst vorüber ist. Gleichzeitig zeigt sich eine gestörte Regulation der Blutgefäße: Manche betroffene Körperstellen sind auffällig warm und geschwollen, andere dagegen kühl und blass – ein Hinweis darauf, dass auch die Durchblutung nicht mehr richtig gesteuert wird.
Drei Mechanismen stehen daher besonders im Fokus:
eine Fehlregulation des autonomen Nervensystems, das normalerweise Atmung, Durchblutung und Schweißproduktion steuert;
anhaltende Entzündungsreaktionen, die nicht mehr durch natürliche Heilungssignale gestoppt werden;
und eine veränderte Schmerzverarbeitung im Gehirn, bei der sich Schmerzreize regelrecht einbrennen können – man spricht hier von einem „zentralen Schmerzgedächtnis“.
Was genau diese Prozesse auslöst – und warum manche Menschen davon betroffen sind, andere nicht – bleibt bislang offen. Sicher ist nur: CRPS ist keine Einbildung, sondern eine komplexe Erkrankung mit realen körperlichen Ursachen. Wer früh behandelt wird, hat bessere Chancen, dass der Schmerz nicht dauerhaft bleibt.
Symptome: Wie äußert sich Morbus Sudeck?
Die Symptome treten meist lokal begrenzt, aber sehr intensiv auf:
Typische Anzeichen:
Starke Schmerzen (brennend, stechend, dauerhaft)
Schwellung und Hautveränderungen
Hauttemperatur: heiß oder auffallend kühl
Verfärbungen: rötlich, bläulich oder blass
Bewegungseinschränkungen
Überempfindlichkeit: selbst leichte Berührungen oder Zugluft verursachen Schmerzen
Muskelabbau oder Gelenkversteifung im weiteren Verlauf
Wenn Morbus Sudeck nicht frühzeitig erkannt wird, kann die Beweglichkeit dauerhaft eingeschränkt bleiben.

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Wie wird Morbus Sudeck diagnostiziert?
Die Diagnose von Morbus Sudeck ist nicht einfach – es gibt keinen einzelnen Test, der den Zustand eindeutig beweist. Wichtig ist vor allem der klinische Blick und das Zusammenspiel verschiedener Untersuchungen.
Typisch für die Diagnostik sind:
Anamnese: Wie ist der Verlauf nach der Verletzung?
Inspektion: Sichtbare Veränderungen der Haut, Farbe, Temperatur
Bewegungstests und Schmerzreaktionen
Bildgebung: Röntgen, MRT, ggf. Knochenszintigrafie
Ausschluss anderer Ursachen (z. B. Infektion, Thrombose)
Wie wird Morbus Sudeck behandelt?
Morbus Sudeck ist ein komplexes Krankheitsbild, das den gesamten Menschen betrifft. Umso entscheidender ist es, so früh wie möglich mit der Behandlung zu beginnen. Denn je eher die Therapie ansetzt, desto größer sind die Chancen, dass der Schmerz nicht chronisch wird und sich der Zustand deutlich bessert. Schmerzen führen zu Schonhaltungen, Schonhaltungen zu Bewegungseinschränkungen – und diese wiederum verstärken die Schmerzen. Gleichzeitig bleibt der Entzündungsprozess in der betroffenen Körperregion aktiv, was die Heilung zusätzlich erschwert. Wer hier früh eingreift, kann den Kreislauf durchbrechen, bevor er sich festsetzt.
Ein zentraler Baustein der Behandlung ist die Bewegungstherapie. Physiotherapeuten und Ergotherapeuten helfen dabei, das betroffene Körperteil behutsam wieder zu bewegen – und zwar so früh wie möglich. Dabei geht es nicht um sportliche Höchstleistungen, sondern um gezielte, schmerzarme Reize, die dem Gehirn signalisieren: Bewegung ist möglich und sicher.
Begleitend dazu braucht es eine individuell abgestimmte Schmerztherapie. Schmerzmittel wie nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), Medikamente zur Nervenberuhigung wie Gabapentin oder – in ausgewählten Fällen – Kortison oder Tramadol können helfen, das Schmerzempfinden zu senken und die Mobilisierung zu erleichtern. Wichtig ist dabei stets die persönliche Abstimmung: Was der einen hilft, kann bei der nächsten Person wirkungslos bleiben.
Nicht zu unterschätzen ist auch die psychische Komponente. Chronischer Schmerz zermürbt – er belastet nicht nur den Körper, sondern auch das seelische Gleichgewicht. Deshalb ist eine psychologische Begleitung für viele Patient:innen ein wichtiger Teil der Therapie. Sie hilft, mit der Unsicherheit umzugehen, Ängste zu bewältigen und den Alltag besser zu meistern.
Auch komplementärmedizinische Verfahren können die Genesung unterstützen. Besonders bewährt haben sich dabei osteopathische Behandlungen und die Matrix-Rhythmus-Therapie, die beide auf eine verbesserte Durchblutung, Geweberegeneration und Harmonisierung des Nervensystems abzielen. Sie ersetzen keine schulmedizinische Therapie, können aber wertvolle Impulse geben.
All diese Maßnahmen greifen jedoch nur dann wirkungsvoll ineinander, wenn sie koordiniert werden. Denn Morbus Sudeck betrifft nicht nur eine Körperstelle – er verändert das ganze Leben. Umso wichtiger ist eine ganzheitliche Behandlung, die früh beginnt, konsequent umgesetzt wird und den Menschen in seiner Gesamtheit sieht.
Leben mit Morbus Sudeck: Tipps & Ausblick
Morbus Sudeck ist ernst – aber nicht aussichtslos. Viele Patient:innen schaffen es, ihre Beschwerden in den Griff zu bekommen – wenn frühzeitig erkannt und behandelt wird.
Tipps für Betroffene:
Sofort aktiv werden, sobald ungewöhnliche Schmerzen nach einer Verletzung auftreten.
Nicht „durchbeißen“ – Schmerzen ernst nehmen!
Sanfte Bewegung täglich, auch wenn es anfangs schwerfällt.
Geduld & psychische Unterstützung: Der Weg ist oft lang, aber möglich.
Quellen und Studien zum Thema Morbus Sudeck
Bruehl, S. (2015): "Complex regional pain syndrome". BMJ, 351, h2730.
Marinus, J. et al. (2011): "Clinical features and pathophysiology of CRPS". Lancet Neurology, 10(7), 637–648.
Birklein, F. et al. (2021): "Complex regional pain syndrome – phenotypic characteristics and potential biomarkers". Nature Reviews Neurology, 17, 272–283.